Artikel aus dem Gießener Anzeiger vom 02.01.2025, 23:00 Uhr

Lutz Fähser plädiert dafür, die Natur machen zu lassen; sie kann es besser; Foto: Tim Mattern

Der Nabu-Kreisverband Gießen hatte gezielt Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus Gemeindegremien zu einem Vortrag über naturnahe Waldnutzung nach dem »Lübecker Konzept« eingeladen. Lutz Fähser, ein pensionierter Förster aus Hessen, der das »Lübecker Konzept« vor 30 Jahren entwickelt hat, stellte zunächst die klassische Forstwirtschaft dem Konzept der naturnahen Waldnutzung gegenüber.

Vereinfacht ausgedrückt werde in der klassischen Forstwirtschaft nach Wirtschaftsplänen gearbeitet, die alle zehn Jahre erstellt werden, führte Fähser aus. Darin werden Anpflanzungen, regelmäßige Pflegemaßnahmen, Auflichten und erwünschte Strukturen vorgegeben. Letztlich werden Einzelbäume gefördert, um einen festgelegten Holzertrag zu erzielen.

Geerntet werden dann alle Bäume, die die Zielvorgaben erreicht haben, mit Ausnahme der circa fünf Prozent Habitatbäume. Dafür erfolgt etwa alle fünf Jahre ein Eingriff in der Fläche, die durch Rückegassen im Abstand von 20 Metern maschinenfreundlich eingerichtet ist. Der Holzvorrat eines solchen Forstes beträgt etwa 300 Kubikmeter pro Hektar.

Nach dem „Lübecker Konzept“ versucht man das ganze Ökosystem zu stärken und eine dynamische Entwicklung der Waldgesellschaft zu mehr Naturnähe zu fördern. Die Pflege wird möglichst waldschonend durchgeführt und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Entnahme nicht heimischer Arten. Dazu genügen Rückegassen im Abstand von 80 Metern, teure Harvester kommen nicht zum Einsatz.

Die Erneuerung erfolgt fast ausschließlich durch Naturverjüngung und nicht durch kostenintensiver Nachpflanzungen. Deshalb ist eine deutliche Reduktion des Schalenwildes notwendig.

Der Holzvorrat eines naturnah bewirtschafteten Waldes liegt bei mehr als 500 Kubikmetern pro Hektar und vergrößert sich stetig in Richtung des Ertragsniveaus eines Naturwaldes mit circa 1000 Kubikmeter pro Hektar, da nur einzelne, meist sehr hochwertige Bäume entnommen werden. Dies bedeutet auch die langfristige Bindung großer Mengen CO2.

In einem naturnahen Wald stehen die Bäume relativ dicht zusammen. Sie beschatten sich gegenseitig und sorgen für ein kühles, feuchtes Klima, ohne sich gegenseitig zu »erdrücken«, so Fähser. Die Waldgesellschaft sei dynamisch und könne sich auf veränderte Lebensbedingungen einstellen. Auch die Biodiversität erhöht sich deutlich.

Schäden durch Trockenheit, Insektenbefall oder Windwurf sind gering. Durch die minimale Pflege und die Entnahme nur weniger Bäume entstehen geringe Personal- und Maschinenkosten, neben dem Waldboden werden auch die Wege geschont. Die Erträge aus den geernteten Stämmen sind nachgewiesenermaßen deutlich höher als in der klassischen Forstwirtschaft.

Nach den Erfahrungen des Referenten ist „Ökologisch optimales Funktionieren () die Voraussetzung für ökonomisch positive Ergebnisse.“ Die Stadt Lübeck erwirtschaftet positive Waldbilanzen und die Bevölkerung hat einen naturnahen, stabilen Wald mit erhöhter Erholungsfunktion. Gerade auf ertragsarmen Böden sei das Konzept noch erfolgreicher.

Öffentliche Baumpflanzaktionen waren ein weiteres Thema, da ja auch bei Kahlflächen überwiegend auf die natürliche Verjüngung gesetzt werden sollte. Hier hob der Referent hervor, dass solche Aktionen die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen und durchaus einen pädagogischen Wert haben. Allerdings sind sie eben teuer und man weiß heute nicht, welches die zukunftsträchtigen Bäume sein werden.

Hier werde derzeit vieles ausprobiert, statt auf heimische Arten zu setzen, die sich genetisch anpassen werden, so Fähser. Wenn nicht-heimische Arten gepflanzt werden, werde das Bodenleben gestört und die Vernetzung der Bäume untereinander blockiert, da die nicht-heimischen Arten nicht zur vorhandenen Waldgesellschaft aus Bäumen, Pflanzen, Pilzen und anderen Mikroorganismen passen würden.