„Neuartiges Grünland“ als Lösung für Verlust der Vielfalt
Kreis Gießen / Fernwald (tim). „Die Artenvielfalt im Grünland soweit es regulär landwirtschaftlich genutzt ist, ist verloren“, glaubt Dr. Stefan Nawrath. Der Friedberger Botaniker referierte am Freitag nach der Vertreterversammlung des NABU-Kreisverbands über die Artenvielfalt der Wiesen und zeigte dabei auch Fehler auf, die auf Naturschutzseite gemacht wurden. Er entließ seine Zuhörer aber nicht ohne Lösungsmöglichkeiten des Dilemmas.
Vertragsnaturschutz helfe nur dort, wo die Nutzungsauflagen auch langfristig gesichert seien und nicht nach wenigen Jahren wieder aufgekündigt werden könnten. Gleichzeitig sei den Landwirten kein Vorwurf zu machen, wenn sie sich dem System anpassen und auf hohe Erträge und Futterqualität setzen, um ihre Betriebe über Wasser zu halten. Häufige Mahd und hohe Düngung in Verbindung mit züchterisch veränderten Gräsern machten aus ehemals artenreichen Wiesen rasch regelrechte Graswüsten. Auch bei der Neuanlage von Grünland − sei es im Rahmen von Renaturierungsprojekten, als Ausgleichsfläche für Eingriffe oder auch nur im Straßenbau − würden Fehler gemacht und Chancen vertan. „Züchterisch veränderte Gräser unterdrücken mit ihrer hohen Konkurrenzkraft alle heimischen Wildarten“, sagte Nawrath. „Selbst wenn die Bewirtschaftung extensiv ist − da wandern keine Blumen ein, denn die meisten Grünlandarten breiten sich extrem langsam aus.“ Auf ehemaligen Ackerflächen seien auch keine Samen von Wiesenpflanzen im Boden. Nawrath zeigte Beispiele aus dem Straßenbau und von Gewässerrenaturierungen wo an den Böschungen eintönige Gräsermischungen angesät wurden. Ähnliches von öffentlichen Grünflächen − „angesichts der hohen Investitionskosten dann am Saatgut zu sparen ist ökologisch fatal“, betonte er. Was also tun, um mit vielfältigem Grünland den Beginn der Nahrungskette zu sichern? Schließlich hängen von einer Pflanzenart zehn bis zwanzig Insektenarten ab, die wiederum Vögeln und anderen Tieren Nahrung bieten. Leidenschaftlich plädierte Nawrath dafür, gezielt auf Wildpflanzen statt auf Zuchtpflanzen zurückzugreifen. Hierfür könne man Saatgut bei Vermehrungsbetrieben kaufen oder das Mahdgut von artenreiche Wiesen übertragen, damit es auf der neuen Fläche aussamt. „Pro Kilometer Autobahn gibt es etwa 1,2 Hekar Grünflächen, die wir mit artenreichem Saatgut aufwerten können. Dieses „neuartige Grünland“ auf den Nebenflächen wird künstlich gepflegt, da gibt es keine Konflikte mit Landwirten in Sachen Futterqualität!“ Auch öffentliche Grünflächen könnten ökologisch und optisch immens damit aufgewertet werden. Für neues Grünland als Kompensation für Eingriffe sei es geradezu verpflichtend, denn nur so sei der Erfolg gewährleistet. Für heute noch artenreiche Wiesen müsste die Bewirtschaftung gesichert werden. So könnten diese als Spenderflächen für die Einsaat neuer Flächen zur Verfügung stehen. „Wenn eine Nachfrage nach Wiesendrusch oder Mahdgut-Übertrag entsteht sind diese Wiesen auch finanziell für die Bewirtschafter attraktiv“, betonte der Referent. Denn was derzeit noch eine Soll-Bestimmung ist, werde ab 2020 zur Pflicht: Denn die Ausbringung von gebietsfremden Pflanzen verbietet der Paragraf 40 im Bundesnaturschutzgesetz, worunter auch züchterisch veränderte Gräser fallen. Die Landwirte müssten sich ihrer Schätze bewusst werden und können sie entsprechend hochpreisig vermarkten − zum Verfüttern sind manche Wiesen schlichtweg zu schade.
Naturschutz und Landwirtschaft
Naturschutz und Landwirtschaft sind aufeinander angewiesen. Eine Landbewirtschaftung ohne Nachhaltigkeit bewirkt früher oder später den Verlust der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Ein Landwirt, der die Belange des Bodens, der Natur und des Wasserhaushaltes nicht berücksichtigt, betreibt Raubbau nicht nur an seiner eigenen Lebensgrundlage.
Aber die Natur (und der Naturschutz) kommen ohne die Landwirte nicht aus. Erst durch die Landbewirtschaftung und die Formung unserer Kulturlandschaft über Jahrhunderte entstand die Lebensraumvielfalt und mit ihr die Artenvielfalt, die wir heute haben und die bedroht ist. Und nur eine angepasste Landbewirtschaftung kann helfen, die Vielfalt zu sichern, denn reine „künstliche“ Pflegemaßnahmen für unsere Landschaft und ihre Bewohner sind langfristig nicht finanzierbar.
Viele kleine Tipps
Neben „großen“ Projekten, wie z. B. gezielten Beweidungsmaßnahmen in Wiesenbrütergebieten oder Feldhamstergerechter Bewirtschaftung der Äcker gibt es auch viele kleine Dinge, die Landwirte und Landbewirtschafter zum Schutz der heimischen Flora und Fauna ohne viel Aufwand tun können:
- Anlegen von Lerchenfenstern in großen Ackerschlägen. (Info hier)
- Kein Liegenlassen von Presskordeln und Ballenwickelnetzen − viele Vogelarten bauen diese in ihre Nester ein, Jung− und Altvögel können sich darin verstricken und jämmerlich zu Grunde gehen. Natürlich lässt man auch keine Folienschnipsel vom Silo in der Gegend rumfliegen
- Nach der Rapsernte die Rapsstoppeln ein bis zwei Arbeitsbreiten rund um den Feldrand einarbeiten: Mäuse laufen von den Feldwegen aus in Rapsschläge, wenn noch etwas Deckung durch die Stoppeln vorhanden ist. Ihre Feinde wie Mäusebussarde können sich aber bei der Jagd an den senkrecht stehenden Rapsstoppeln, die für die Vögel schwer erkennbar sind, tödlich verletzten.
- Anbringen von Nisthilfen für Schleiereulen und Turmfalken an und in Scheunen. Scheunen sollten zudem für die Eulen zugänglich sein, hier können sie bei Schneedecke noch Mäuse jagen.
- Güllebecken abdecken: Mäuse und Kleinvögel können auf der schwimmenden Kruste laufen, größere Vögel wie Bussarde und Eulen ertrinken aber in der Gülle.
- Öffnen von Viehställen und Anbringen von Nisthilfen für Rauchschwalben. Naturnester nicht herabstoßen. Evtl. aus den Nestern hängende Pferdeschweifhaare und Kordel abschneiden, damit die Jungschwalben sich nicht darin verstricken.
- Auf das Schleppen von Wiesen nach Mitte März möglichst verzichten. Reine Weideflächen, die nicht befahren/gemäht werden müssen, müssen nicht geschleppt werden − kostet ja nur Sprit und Zeit!
- Die Ackergrenze nicht (immer) bis zum unmittelbaren Wegrand ausnutzen − auch mal einen Streifen stehen lassen, in dem sich Kornblume, Klatschmohn & Co entwickeln können und mit ihren Blüten zu einem schönen Landschaftsbild und als Insektentankstelle beitragen.
- Wenn es nicht sein muss: Wegränder u. ä. möglichst spät abmähen. Heute werden große Flächen in kurzer Zeit abgeerntet, Deckung und Nahrungshabitate gehen verloren. Wenn dann auch noch die Wegränder und bewachsenen Feldwege alle gemäht sind, bleibt für die Tierwelt überhaupt nichts mehr übrig. Das gleiche gilt für Brachflächen, Brachebegrünungen u.ä.: So lange stehen lassen, wie möglich. Z. B. in Sonnenblumenfelder ziehen sich schiere Unmengen von Vögeln und Niederwild im Winter zurück. Hier haben sie Nahrung und Deckung.
Weitere Tipps und Anregungen nehmen wir gerne entgegen!